RÄUMUNGSVERKAUF

event
24.09.21 – 26.09.21
Autohaus Autohaus & Friends

In den letzten Jahren haben viele Künstler*innen ihr Werk zu einem Netzwerk erklärt. Wir bezeichnen diese Praktiken der Inanspruchnahme von Beziehungen und Zusammenschlüssen als para-support. Sie eignen sich Kontakte als machtvolles Werkzeug mit ihren eigenen Mitteln an, insofern sie gleichzeitig ganz und gar Teil der Beziehung sind und einer anderen Ordnung angehören, die vielleicht erst im Entstehen zu begreifen ist. Dieses komplizierte Verhältnis – weder gegen das bestehende System noch ganz von ihm bestimmt – wird durch die griechische Vorsilbe para beschrieben. παρά bedeutet sowohl neben als auch jenseits. Im Griechischen geht es immer noch um Divergenz und nicht um Polarität (nichtsdestotrotz ist dies die Vorsilbe, die im Lateinischen zu contra wird). Der para-support ist also keine Anti-Professionalität, Anti-Institution oder gar Anti-Establishment. Sie lehnt weder die Tradition, die Kompetenz noch die Institution ab, sie verweigert sich vielmehr der Verweigerung, die die Welt ihr zugeschrieben zu haben scheint.

Mit dem Autohaus Autohaus e.V. und dem schwindenden Standort am Königstor treffen wir auf zwei para-supportende, in sich verschränkte Unternehmungen:

Werkstatt-Community und Showroom, die darauf abfahren, Begeisterung zu teilen, Verbindungen einzugehen und Vorhaben zu verwirklichen, die noch nicht existieren, Orte, an denen wir gemeinsam tätig sein und präsentieren können, was wir noch nicht geschaffen und/oder noch nie gezeigt haben.


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· Was bedeutet das alles in Bezug auf die Kunsthochschulen – Akademien, Schulen für Kunst und Design – und Kunsthäuser – Museen, Galerien, Kunstvereine?

· Wie behauptet man Autonomie und wie verhält man sich heute zu etablierten Hoheiten und Größen, kurs- und diskursbestimmenden Kräften?

· Ist der Ansatz, die eigene Unternehmung als Para-Supporteinheit zu betrachten, die Autonomie und Handlungsmacht einfordert, auf die Freiheit der jungen Kunst pocht und sich der Ökonomisierung und Modularisierung der Kunstproduktion verweigert, wirksam?



Der Standort im Königstor war ein Refugium im Gebäude eines ehemaligen Autohauses in einem Stadtviertel inmitten von Kassel. Der Raum erleichterte den Prozess der Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Gestaltung, Professionalisierung und Freizeit, ästhetischer Praxis und gelebter Politik, Konzeptualisierung und Umsetzung zwischen Künstler*innen, Gestalter*innen, Kulturschaffenden, Besucher*innen, Interessierten und Unterstützer*innen. Das Autohaus war ein Raum im Wandel, eine Plattform mit Potential für Erfahrungen sowie ein Studio des Probierens. Der Kern des Raums war ein fluktuierendes Team begeisterter Menschen der Kunsthochschule Kassel, ihr nächster Schritte heraus aus der Bildungsinstitution: real, waghalsig, gemeinschaftsbezogen und erfahrungsoffen.

Als Kunstraum, diskursiver Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, Ort zum Treffen, Anpacken und Austauschen positionierte sich das Autohaus an der Schwelle von Begriffen und Konstruktionen des Herrschens und des Nicht-Herrschens, der Marke und der Nicht-Marke, des Kommerzes und der Kommerzabgewandtheit, in erster Linie, um die Ideologien und Konnotationen, die solchen Begriffen innewohnen, zu verstehen und zwischen ihnen zu verhandeln und natürlich um sie erneut zu dekonstruieren. Zu diesem Zweck scheint es angemessen, die kosmogenen Kräfte von Künstler*nnen und künstlerischer Praxis anzurufen, zu beschwören oder einzusetzen, um uns zu leiten. Auf dieser Reise setzte das Autohaus auf das, was Paget Henry die "poetische Kraft der künstlerischen Praxis" nennen würde, um "alte Namen zu ent- und umzubenennen, alte Selbste abzuschaffen und neue zu etablieren, auferlegte Stimmen zum Schweigen zu bringen und verlorene Stimmen zurückzufordern", um die "Krise des Gefangenseins" zu lösen.

Kulturelle Netzwerke und Künstler*innenkollektive sind unlängst die stärksten Knotenpunkte der kulturellen, sozialen, kreativen und politischen Überschneidungen. Lange schon haben sich Künstler*innenkollektive und Kulturnetzwerke als System kultureller und sozialer Unternehmungen zur Förderung des gegenkulturellen Diskurses und von Unterstützungs- und Selbsthilfenetzwerken etabliert, bleiben jedoch getrennt und unabhängig voneinander.

Jüngste Entwicklungen in Kassel zeigen jedoch, dass kulturelle Netzwerke und Künstler*innenkollektive symbiotisch aufeinandertreffen und sich gegenseitig informieren sowie inspirieren. Die Netzwerke in Kassel setzen sich aus Künstler*innenkollektiven, lokalen institutionellen/zwischeninstitutionellen Einrichtungen und von interdiszplinären Akteur*innen geleiteten Initiativen zusammen. Initiative wie TOKONOMA, Plattform für junge Kunst und Clubkultur; WARTE FÜR KUNST, Ausstellungsort und Experimentierfeld für zeitgenössische Kunst; TRAFOHAUS, Forum für Inhalte an der Schnittstelle von Theorie und Praxis in den Bereichen Kulturforschung, Design und Architektur, Kunst und Stadtplanung, um nur einige zu nennen, zeigen, dass es zunehmend notwendig ist, eine integrative Methodik für die Arbeit zwischen Künstler*innen und ihren Gemeinschaften zu entwickeln. Darüber hinaus fungieren kreativschaffende Teams wie RAAMWERK, Studio für Kunst, Sozial, Kommerz, die sich bei Gemeinschaften, Regierungen oder regierungsnahen Einrichtungen für die kulturelle Inklusion in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einsetzen und die Mobilität von Künstler*innen in anderen Netzwerken und Kollektiven erleichtern.

Wir als temporär zusammengeworfenes Team des Atelierrundgangs sind nun eher eine Mini-Einheit para-supportender Künstler*innen im Becken größerer, manchmal aber nicht weniger fluktuierender Player*innenkonstellationen im Raum Kassel. Wir kamen zusammen, um den Abschluss einer kleiner Ära zu begleiten und gleichzeitig das Format Atelierrundgang für uns, unsere ästhetische Praxis und die jeweils an uns als Einzelpersonen assoziierten Gemeinschaften zu befüllen.

Was wir uns gerade in solchen Momenten der Zusammenkunft nebst gleichzeitigen Umbruchs und Veränderung wie gerade fragen:

· Was sind die Merkmale zeitgenössischer Netzwerke in Kassel (und darüber hinaus) und wie bringen sie neue künstlerische Praktiken zum Ausdruck?

· Kultivieren Netzwerke eine einzigartige Ästhetik für Kunstschaffende?

· Inwieweit bieten unabhängige Kunstkollektive einen alternativen Rahmen für soziales, wirtschaftliches und politisches Engagement?

· Können Kollektive als Ersatz für etablierte Institutionen (z. B. Museen, Galerien, Universitäten) oder als ergänzende Partner*innen betrachtet werden?

· Ist eine kritische Theoretisierung von Netzwerken und Kollektiven außerhalb der professionellen und angewandten Arbeit des Kunst- und Kulturmanagements plausibel?

· Tragen Netzwerke zur Prekarität kultureller Arbeit bei oder spiegeln sie das Bestreben wider, sich aus neoliberalen und (oft) autoritären gesellschaftlichen Kontexten zu befreien?

– Michael Gärtner